"Es geht um Mutter und Kind"
Interview mit Dr. Luc Turmes, Wegbereiter für Mutter-Kind-Einheiten in der Psychiatrie und Leiter des Ärztlichen Dienstes im Westfälischen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie, Herten
Mutter-Kind-Einheiten in psychiatrischen Krankenhäusern tragen in mehrfacher Hinsicht zum Heilungserfolg bei. Sie helfen der psychisch erkrankten Frau wieder gesund zu werden, befreien sie von dem Druck, eigentlich bei ihrem Kind sein zu wollen und führen sie langsam an die Mutterrolle heran. Nach der Entlassung sind fast 90 Prozent der Frauen in der Lage, ihr Kind selbstständig zu versorgen.
Warum machen Mutter-Kind-Stationen in der Psychiatrie Sinn?
Eine solche Station ist sinnvoll, weil es eine hohe Zahl von psychiatrischen Wochenbetterkrankungen gibt. Das Risiko, psychisch zu erkranken, ist im Wochenbett in den ersten 30 Tagen nach der Geburt um das 35fache erhöht. Durch das ”Rooming-in” kommen wir aus einem Dilemma heraus. Bei der üblichen stationären psychiatrischen Behandlung sind die Frauen von ihren Kindern getrennt und beseelt davon, zu ihnen zurückzukehren. Sind sie zusammen mit ihren Babies in der Klinik, entfällt dieser Druck. Sie können in Ruhe gesund werden und erfahren Unterstützung in ihrer Mutterrolle, lernen, Mutter zu sein.
Warum gibt es diese Stationen nicht schon längst?
Es ist dasselbe Problem, das uns mittlerweile in fast allen Bereichen der medizinischen Versorgung entgegentritt: Es ist zu teuer! Die Säuglinge müssen mitversorgt werden, das erfordert eine höhere Mitarbeiterzahl. Man muss daher für eine Mutter-mit-Kind-Behandlung vom anderthalb- bis zweifachen Psychiatrie-Pflegesatz ausgehen. Eine Investition, die sich lohnt, denn die Behandlungsdauer verkürzt sich und die Rückfallrate ist geringer.
Welche Erfolge erhoffen Sie sich?
Rooming-in bedeutet, sich um die Gesundheit von Mutter und Kind zu kümmern, ihre Beziehung zum Wohle beider zu stabilisieren. Eine kanadische Studie weist nach, dass nach der Entlassung aus einer Mutter-Kind-Einheit 87 Prozent aller zuvor psychotischen Mütter fähig waren, ihr Kind adäquat zu versorgen, gegenüber 31 Prozent der Mütter, die ohne ihr Kind stationär psychiatrisch behandelt wurden.
Wie lange dauert im Durchschnitt der Aufenthalt in der Klinik?
Etwa sechs bis acht Wochen stationär und zwei Wochen Tagesklinik, in manchen Fällen auch vier bis sechs Wochen Tagesklinik – das sind Erfahrungswerte. Ich plane für das WZPP eine vollständige Behandlungskette, also die Zusammenarbeit mit Geburtshelfern, Allgemeinmedizinern, niedergelassenen Nervenärzten, Hebammen und ambulanten sozialpsychiatrischen Einrichtungen. Wir wollen auch nach der Entlassung aus der Klinik ein stabiles soziales Netz für die betroffenen Mütter schaffen.